Der Bundesgerichtshof hat heute die detaillierte Begründung seines Urteils zur Unwirksamkeit von Preisanpassungsklauseln, welche der Bestimmung des § 4 AVBGasV nachgebildet sind und in Normsonderkundenverträgen genutzt werden veröffentlicht. Wir berichteten bereits über die Verfahren vor dem EuGH und BGH und die Urteilssprüche. Lediglich die genauen Begründungen fehlten bis heute. Diese können weitere Hinweise zur Gestaltung von künftigen Preisanpassungsklauseln geben und Grundlagen für den Umgang mit Rückforderungsansprüchen erläutern.
Im Wesentlichen führt das Gericht nun aus, dass es sich vollumfänglich der Rechtsprechung des EuGH unterwerfen muss, soll eine einheitliche Auslegung der AGB-Richtlinie (im Urteilstext als „Klausel-Richtlinie“ bezeichnet) und der Gas-Binnenmarktrichtlinie sichergestellt werden.
Damit gibt der BGH ausdrücklich seine sogenannte „Leitbild-Rechtsprechung“ auf, welche bislang besagte, dass Klauseln, die Regelungen der in Verordnungsform veröffentlichten „Allgemeinen Versorgungsbedingungen“ (heute sog. „Grundversorgungsverordnungen“) wortgleich entsprechen, grundsätzlich als AGB-rechtlich wirksam anzusehen sind.
Einen Hinweis auf das schützenswerte Vertrauen der Versorger, dass diese höchstrichterliche Rechtsprechung weiter Bestand hat, hat der BGH auch gegeben. Dieses Vertrauen kann aber erst ab dem Zeitpunkt schützenswert sein, in welchem die Rechtsprechung tatsächlich bestand. Das war im vorliegend entschiedenem Sachverhalt eben nicht der Fall.
Zudem weist der BGH darauf hin, dass die sogenannte „t-3“ Rechtsprechung weiter gelten kann (in dem vorliegendem Fall aber nicht einschlägig ist). „t-3“ bedeutet – stark verkürzt kurz dargestellt -, dass der Versorgungskunde bei einer unwirksamen Preisanpassungsklausel grundsätzlich anhand der Preisbasis zurückfordern kann, die 3 Jahre vor seinem Widerspruch gegen die Preisanpassung galt (wenn bestimmte weitere Voraussetzungen erfüllt sind).
Einschätzung:
Dieses Urteil wird meines Erachtens eine sehr weitreichende Wirkung auf die Versorgungsbranche haben. Der BGH hat in den letzten Jahren erkennbar alle Preisänderungsklauseln der Versorger in Normsonderkundenverträgen, welche nicht dem Leitbild der Verordnung entsprachen, als wirkungslos angesehen. Nun, da das Leitbild ebenso gefallen ist, scheint keine Preisanpassung in derartigen Verträgen möglich zu sein, die nicht unter dem Damoklesschwert der Unwirksamkeit steht. Wie Versorger, Gerichte und schließlich Gesetzgeber dieses Problem anpacken wollen, bleibt offen.
Eine weitere Dimension erhält das Urteil, wenn nicht nur die Normsonderkundenverträge (also Versorgungsverträge mit Haushaltskunden, die einen gesonderten schriftlichen Vertrag abgeschlossen haben, z.B. bei einem versorgerwechsel) sondern auch die Grundversorgungsverträge davon betroffen wären. Grundversorgungsverträge sind solche, die meist durch faktische Stromentnahme z.B. in einer neu bezogenen Wohnung abgeschlossen werden und der Kunde sich dann nicht mehr um ein gesondertes anderes Vertragsverhältnis kümmert.
Der EuGH hat die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel nicht nur mit der Klausel-Richtlinie begründet sondern auch die Gas-Binnenmarktrichtlinie herangezogen. Auch nach dieser Richtlinie müssen allgemeine Bestimmungen von bestimmten Energieversorgungsverträgen (z.B. im Rahmen der Grundversorgung) verständlich und transparent sein. Die Richtlinie ist im weitestgehenden Sinn die Ermächtigungsnorm zum Erlass der Grundversorgungsverordnungen. Daher wird der BGH die Frage „Wenn die Klausel bereits in Sonderkundenverträgen unwirksam ist, wie kann dann die gesetzliche Regelung noch der Ermächtigungsgrundlage der Binnenmarktrichtlinie entsprechen?“ in der Folge zu beantworten haben.
Es wird also spannend, zumal zum Jahreswechsel wieder mit Preiserhöhungen im Elektrizitätsversorgungsbereich anstehen (die EEG-Umlage wird wieder vss. erhöht) und dort im für die Preisanpassung relevanten Paragraphen der Grundversorgungsverordnung Strom exakt das selbe geschrieben steht, wie im Paragraphen der Grundversorgungsverordnung Gas.
Es ist daher im größten Interesse der Versorger, baldmöglichst die Preisanpassungsklauseln ihrer Versorgungsverträge zu überprüfen und anzupassen. Wie eine rechtmäßige Klausel aber auszusehen hat, bleibt schwierig zu definieren. Eine Garantie der Rechtmäßigkeit einer Preisanpassungsklausel werden derzeit wenige Juristen in Deutschland anbieten.
Michael Hill
Partner