München, 29.11.2022:
Der Bundesgerichtshof hat bereits im Mai ein Urteil verkündet, welches das Rechtverhältnis in der Grund- und Ersatzversorgung, aber auch außerhalb derselben ausdrücklich nochmals klärt: BGH, Urteil vom 10. Mai 2022, AZ EnZR 54/21 „Verbrauchsstelle Goldbuschfeld“. Darin wird klargestellt, dass bei Nicht-Haushaltskunden nach Ende der Ersatzversorgungsverträge kein Vertrag durch Realakt folgt, sondern eine „Entnahme ohne Rechtsgrund“, die dem Grundversorger als Lieferant bilanziell zuzurechnen sei. Dieser hat dann auch Sperransprüche gegenüber dem entnehmenden Kunden.
Im Detail:
Es handelte sich um einen Kunden außerhalb des Haushaltskundensegments (Entnahme von Gas und Strom zu privaten Zwecken ODER bis maximal 10.000 kWh Jahresentnahme für unternehmerische und sonstige Zwecke – auch bei Gas gilt der Wert von 10.000 kWh Jahresabnahme). Dieser Kunde hatte vermeintlich alle Entnahmestellen einem Lieferanten zugeordnet, aber eben eine Marktlokation wurde tatsächlich nicht kontrahiert. Aus diesem Grund geriet der Kunde zunächst in die Ersatzversorgung und hat nach Ende der drei Monate Ersatzversorgung weiterhin Strom bezogen.
Der Netzbetreiber daraufhin gegen diesen Kunden, für die Zeit nach Ende der Ersatzversorgung ohne Vertragsverhältnis Strom entnommen hat, einen Ersatz für die Stromkosten geltend gemacht. Dieser wurde durch den BGH nun endgültig abgelehnt.
Hintergrund des Urteils ist, dass Strom, den ein Letztverbraucher ohne vertragliche oder gesetzliche Grundlage an einer regulären Lieferstelle unberechtigt aus dem Niederspannungsnetz entnimmt, bilanziell wirtschaftlich und zivilrechtlich nicht dem Verteilnetzbetreiber, sondern dem Grund- und Ersatzversorger zuzuordnen sei. Daher hat der Verteilnetzbetreiber keinen Anspruch auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA). Die Urteilsausführungen des OLG zur Abgrenzung der Grund- von der Ersatzversorgung hat der BGH jedoch bestätigt. Ein Letztverbraucher, der kein Haushaltskunde im Sinne von § 3 Nr. 22 EnWG ist, hat entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 38 EnWG a.F. zwar einen Anspruch auf Ersatzversorgung, nicht jedoch auf Grundversorgung. Das gesetzlich geregelte Ersatzversorgungsverhältnis endet gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 EnWG a.F. spätestens drei Monate nach Beginn der Ersatzversorgung. Der Anspruch auf Ersatzversorgung besteht nur einmal nach Beendigung eines Stromliefervertrags, ein sich anschließender erneuter Anspruch auf Ersatzversorgung besteht nicht.
Durch die Neuregelung des § 38 EnWG mit Wirkung zum Juli 2022 ergeben sich für die Laufzeit der Ersatzversorgung keine inhaltlichen Änderungen. § 38 Abs. 2 EnWG wurde lediglich in § 38 Abs. 4 EnWG überführt.
Wesentlicher Inhalt, fokussiert:
Letztverbraucher, die keine Haushaltskunden sind, haben nach Ende der Ersatzversorgung keinen Anspruch auf ein Grundversorgungsverhältnis. Der BGH hat hier ausdrücklich klargestellt, dass für Nichthaushaltskunden „keine Grundversorgungspflicht nach § 36 Abs. 1 EnWG besteht“. Stromentnahmen außerhalb der Grund- und Ersatzversorgung, für die weder ein Stromlieferungsvertrag noch ein Grund- oder Ersatzversorgungsverhältnis bestehen, erfolgen unberechtigt. Der BGH hat entschieden, auch in diesem Fall die Strommengen, die ein Letztverbraucher, der kein Haushaltskunde ist, ohne vertragliche oder gesetzliche Grundlage an einer (nicht gesperrten) regulären Lieferstelle aus dem Niederspannungsnetz entnimmt, rechtlich und wirtschaftlich dem Grund- und Ersatzversorger zuzuordnen. Etwaige Aufwendungsersatz-, Bereicherungs- oder Schadensersatzansprüche gegen den unberechtigten Nutzer der Lieferstelle stehen nicht dem Verteilnetzbetreiber, sondern dem Ersatzversorger zu.
Der Grund- und Ersatzversorger hat nach unserer Ansicht das Recht die Entnahmestelle unmittelbar sperren zu lassen, da unberechtigt Strom entnommen wird.
Auswirkungen auf Letztverbraucher und Versorger
Das Urteil kommt, wie man es sehen möchte, zur Unzeit oder gerade Rechtzeitig: Immer noch haben viele Gewerbe-, Industrie oder sonstige Kunden mit mehr als 10.000 kWh Jahresabnahme in der Niederspannungs- oder Niederdruckebene keine Strom- oder Gaslieferverträge für das Jahr 2023. Diesen droht in diesen Spannungs- und Druckebenen das unmittelbare Ende der Belieferung durch Grund- und Ersatzversorger ab dem 01.04.2023, sollte bis dahin kein Versorger gefunden sein. Gerade bei den aktuell immer noch hohen Beschaffungskosten und den Unsicherheiten am Strom- und Gasmarkt, bieten trotz geplanter Gas- und Strompreisbremse Energieversorger keine Lieferverträge mit Festpreis o.ä. an. Es heißt hier also eine gewissen Eile an den Tag zu legen.
Schlimmer noch die Auswirkungen für Kunden ab der Netzebene 6 im Strom oder eben Mittedruckkunden im Gas: Für diese besteht (überhaupt) kein gesetzlicher Anspruch auf Weiterversorgung durch den Grundversorger und auch hier kann – wenn sich der Versorger nicht freiwillig bereit erklärt – die Versorgung kurzfristig eingestellt werden. Das bedeutet, selbst die Ersatzversorgung ist bei diesen Kunden nicht möglich und ab 01.01.2023 droht bei diesen, so lange sie Vertragslos sind, eine kurzfristige Abschaltung durch den Grundversorger, damit dieser seinen Schaden minimieren kann.
Letztmaliger regulärer Zeitpunkt nach den Vorgaben für Lieferantenwechsel Strom (GPKE) und Gas (GeLi Gas) für die Anmeldung von Belieferungen von Marktlokationen beim Netzbetreiber ist dieses Jahr der 15. Dezember 2022, zehn Werktage vor Jahreswechsel.
Für Grund- und Ersatzversorger sowie für Netzbetreiber klärt das Urteil endlich, dass es außerhalb der Grund- und Ersatzversorgungsberechtigten keinen Platz für Rechtskonstrukte wie die Geschäftsführung ohne Auftrag oder den Vertragsschluss durch Realakt geben kann.
Hans Koppenwallner
Senior Associate
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