München, 02.08.2021: Die vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) haben am 30.07.2021 deren Grundverständnis zur Schätzbefugnis nach Ende der Übergangsfrist des 104 Abs. 10 und 11 EEG 2021 zur Abgrenzung von bspw. Eigenverbrauchs- und Drittmengen nach den Vorgaben des § 62b Abs. 2 Nr. 2 EEG 2021 veröffentlicht.
Hintergrund
Spätestens seit 2014 besteht die Pflicht, bei bestimmten Reduktionstatbeständen von Strompreiselementen für Bezug und Eigenversorgung, eigenen Verbrauch und den Verbrauch anderer Rechtspersonen z.B. innerhalb einer Betriebsgeländes geeicht messtechnisch abzugrenzen. Dies betrifft insbesondere die Reduktionsmöglichkeit der EEG-Umlage, aber auch weitere Umlagen, wie die KWKG-, Offshore-Netzumlage sowie die sog. „§19-Umlage“. Auch haben diese Abgrenzungsdiskussionen mittelbar Auswirkungen auf die Umsetzung der Meldungen von Stromsteuerreduktionstatbeständen.
Die Anforderungen wurden zunächst 2014 für die Abgrenzung von Eigenversorgung und Drittbelieferung, aber auch für die Weiterleitung von Bezugsmengen in der sog. „besonderen Ausgleichsregelung“ in das EEG 2014 eingeführt. Für Lieferungen von Strom an Dritte (auch aus „Eigenversorgungsanlagen“) galt aber bereits damals, dass hier Meldedaten als Energieversorger abgegeben werden mussten. Zunächst wurde dann anhand des Mess- und Eichrechts von 2015 argumentiert, dass hier nur geeicht erfasste Messwerte Grundlage einer wirksamen Meldung sein können.
Mit dem EEG 2017 und dem „Energiesammelgesetz“ 2019 wurde dann eine Übergangsfrist eingeführt, wonach (nach mehreren „Verschiebungen“ des Endes der Übergangsfrist) noch bis Ende 2021 nach den nunmehr detaillierten Vorgaben zur Durchführung derselben, Schätzungen möglich sind (§ 104 Abs. 10 und 11 EEG 2021). Artikel hierzu finden Sie in unserem Blog (hier, hier, hier und hier).
Diese Übergangsfrist endet nunmehr offensichtlich endgültig zum 01.01.2022. Ab diesem Zeitpunkt dürfen nur noch dann Energiemengen geschätzt werden, wenn
„die Abgrenzung technisch unmöglich oder mit unvertretbarem Aufwand verbunden ist und auch eine Abrechnung nach Nummer 1 aufgrund der Menge des privilegierten Stroms, für den in Ermangelung der Abgrenzung der innerhalb dieser Strommenge geltende höchste EEG-Umlagesatz anzuwenden wäre, nicht wirtschaftlich zumutbar ist.“
§ 62b Abs. 2 Nr. 2 EEG 2021
Zu den Fragen, was „technisch unmöglich“ oder „unvertretbarer Aufwand“ ist und was dann „wirtschaftlich unzumutbar“ ist, haben nun die Übertragungsnetzbetreiber deren (unverbindliche) Rechtsmeinung dargetan.
Inhalt des „Grundverständisses“ der ÜNB
Die ÜNB bleiben zunächst hinsichtlich des Begriffs der „technischen Unmöglichkeit“ bei den Vorgaben des Leitfadens Messen und Schätzen der Bundesnetzagentur (nicht barrierefrei, pdf) vom 08. Oktober 2020, dort Seiten 55 ff, wonach gegenüber der Netzbetreiber qualifiziert (d.h. ggf. mit Protokollen belegt) darzulegen sei, warum eine bereits bestehende Messung aufgrund von bspw. unvorhersehbaren Sicherungs- oder Reparaturmaßnahmen oder eines Ausfalls der Messgeräte eine Messung zu einem definierten Zeitraum technisch unmöglich war. Weitere Tatbestände über die Anwendung dieser Ausnahmemöglichkeit sehen die ÜNB offensichtlich nicht.
Sodann führen die ÜNB sehr genau aus, wie sich der „unvertretbare Aufwand“ für diese ergeben würde: Hierbei werden die Kosten der Umsetzung des Messkonzepts mit einem zu erwartenden Umlagesatz für acht Jahre auf diejenigen nicht privilegierungsfähigen (Drittbezugs-)Mengen, die ansonsten Messtechnisch nicht abgegrenzt werden könnten, verglichen. Konkret muss daher dargestellt werden, welche (qualifiziert geschätzten) Energiemengen des nicht in der Umlage reduzierbaren (Dritt-)Verbrauchs von einem umgesetzten Messkonzept konkret betroffen sein könnten, damit deren Auswirkungen auf das EEG-Umlagekonto begriffen werden kann, sollte es zu einer fehlerhaften Schätzung kommen. Diese Mengen werden dann mit dem Reduktionsbetrag multipliziert und auf acht Jahre hochgerechnet. Sollten die Umlagekosten sodann geringer sein, als die Kosten der Umsetzung des Messkonzepts, wäre der „unvertretbare Aufwand“ gegeben.
Schließlich muss neben dem „unvertretbarem Aufwand“ noch die „wirtschaftliche Unzumutbarkeit“ der Zahlung der vollen Umlage durch den Abgrenzungswilligen gegeben sein. Dafür schlagen die ÜNB vor, dass auf Basis qualifizierter Schätzungen errechnet wird, welche Strommengen ohne Umsetzung des Messkonzepts von der vollen Umlagepflicht betroffen sind (obwohl diese hätten reduziert werden können). Diese Menge wird mit dem Reduktionsbetrag der Umlage für acht Jahre multipliziert. Hierzu werden die Kosten für den Aufbau eines „vorgelagerten Messpunktes“ gerechnet, also einer Messung, die eben die durchmischten Verbräuche insgesamt erfasst. Nur wenn diese Kosten dann in Summe (erhöhte Umlage plus Kosten des vorgelagerten Messpunkts) höher sind, als die bereits oben berechnete verringerte Umlagesatz für nicht privilegierungsfähige (Dritt-)Verbrauchsmengen auf acht Jahre, liegt eine „wirtschaftliche Unzumutbarkeit“ vor.
Die ÜNB haben zur Verdeutlichung des Rechenwegs eine Excel-Tabelle mit Beispielsfällen veröffentlicht.
Bewertung
Endlich Klarheit?! Ich würde sagen: „Ja, aber…“, denn einerseits haben die ÜNB nun eine Handreichung zur Definition der Begriffe gegeben. Andererseits sind alleine in der Berechnung einige „Unbekannte“, denn die Schätzungen der betreffenden Energiemengen sind durchaus anspruchsvoll. Zudem ist dies nur die (unverbindliche) Ansicht der Übertragungsnetzbetreiber. Anfang des Jahres 2022 werden aber auch die Verteilnetzbetreiber im Rahmen der § 19-Umlage nach der Schätzbefugnis fragen, sollte diese Teil der Erklärung der „Einhaltung des § 62b EEG“ nach den Übergangsvorschriften sein. Ob hier die Verteilnetzbetreiber einen anderen Ansatz wählen, als die ÜNB bleibt abzuwarten.
Michael Hill
Rechtsanwalt | Partner